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Blindenführhunde

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Die Blindenführhunde aus Hahnöfersand

 

Ein Tag beginnt, ein grauer Tag. Draußen treiben die Wolken die letzten Fetzen der Dunkelheit davon, als würde ein Vorhang aufgezogen. Drinnen ist es nicht viel heller. Ein Tag wieder jeder andere. Türen öffnen, kurzer Guten-Morgen-Gruß auf immer gleichen Gängen mit verschlossenen Türen. Doch eins ist anders heute in der JVA Hahnöfersand in Hamburg. Man hört Stimmen – und Bellen. Es könnte von Cleo kommen, oder von Ronja oder Rose.

 

Zwei Labradore und ein Königspudel


Die beiden Labradore und der Königspudel sind in Ausbildung zum Blindenführhund hier in der JVA. Jeden Tag absolvieren sie ihre Einheiten, üben das, was ein Blindenführhund lernen und später sicher können muss. „Derjenige, der den Hund später bekommt, muss sich absolut darauf verlassen können, dass der Hund gut ausgebildet ist. Der Hund hat also eine große Verantwortung. So wie wir jetzt die Verantwortung für die Hunde haben.“, sagt Melanie, eine Insassin der JVA. Sie ist Patin von Labrador Ronja und nimmt ihre Aufgabe sehr ernst. „Wenn die Wut kommt, hat Melanie im Gefängnis bisher immer mit den Türen geknallt und die Musik laut aufgedreht. Jetzt geht das nicht mehr, sagt sie immer. Wegen Ronja. Sobald sie lauter wird, zieht sich der Labrador zurück, und das will sie nicht, also muss sie sich bremsen.“, erklärt Manuela Maurer, Initiatorin und Leiterin des Projektes Hundebande e.V. 

Manuela Maurer ist ursprünglich Erzieherin und hat Sozialpädagogik studiert. Schwerpunkt: Rehabilitation Suchtkranker und Straffälliger. Es kamen ein Studium in Kunstgeschichte, Psychologie und Philosophie hinzu. Später arbeitete sie im Projektmangament der Agentur Kolle Rebbe.

Im Sommer 2008 landete eine Einladung auf ihrem Schreibtisch: Eine Premierenveranstaltung in einem Berliner Gefängnis inklusive Vorführung eines Films über ein Ausbildungsprogramm für Blindenführhunde in einem New Yorker Gefängnis. Fasziniert von dem dargestellten Projekt wusste sie spontan: Das wollte sie auf Deutschland zuschneiden und hier auf die Beine stellen. „Ich hatte keine Ahnung, was es bedeutet. Ich habe einfach losgelegt und alles in Bewegung gesetzt.“

 

Die Hundebande


Manchmal laufen mit einer Idee plötzlich alle Fäden zusammen. Gesammelte Erfahrungen und Fähigkeiten aus dem Studium, der Arbeit in sozialen Projekten und in der Werbung konnten in die Idee optimal eingebracht werden. Blindenführhunde von straffällig geworden Menschen ausbilden zu lassen, dies war die Herausforderung zweier Lebenswelten, die auf neue und kreative Art miteinander verbunden wurden und Perspektiven aufzeigten: für Menschen im Strafvollzug und die Bedürfnisse blinder Menschen.

 

Die Blindenführhundausbilderin


Frei nach Kästner „Es gibt nichts Gutes außer man tut es“, macht sich Manuela Maurer auf die Suche nach einer Kooperationspartnerin für die Ausbildung der Hunde. Sie trifft auf Nadja Steffen, einen angesehenen Profi in diesem Bereich. Es passt! Und auch Nadja Steffen findet die Idee lohnenswert. 6 Patinnen für 3 Hunde sollen in Hahnöfersand für ein Pilotprojekt gefunden werden, welches von Manuela Maurer und Nadja Steffen begleitet wird. Jeweils 3 Erst- und 3 Zweitpatinnen. Teams, die sich absprechen und ergänzen sollen. „Das Ziel der ersten Ausbildungsphase ist in Freiheit und hinter Gittern gleich: Die Hunde sollen eine gute Beziehung zu Menschen aufbauen und Gehorsam lernen, ohne dabei den Spaß am Lernen zu verlieren.“ sagt Nadja Steffen. „Die Hunde akzeptieren ihre Patinnen bedingungslos. Die Frauen profitieren von der Liebe der Tiere. Der Hund fragt nicht nach, wie ihr Lebenslauf war.“ Genau dies sollte der Schlüsselerfolg des Projektes werden. „Dass man so behutsam miteinander umgehen kann, sei eine ganz neue Erfahrung für die Frauen“, fasst Nadja Steffen zusammen. Und sie lobt die Patinnen: „Die Frauen sind mit 100% Einsatz dabei. Und die Hunde hören deshalb überdurchschnittlich gut.“

 

Zurück nach Hahnöfersand. Liebevoll streichelt Melanie Ronja. Ein Lächeln huscht über ihr Gesicht. Vor dem Hundeprojekt, so sagt sie, war sie nur in ihrer Zelle und hatte ihre Türe zu. Sie wollte von dem ganzen „Zickenterror, Streit und Stress“ nichts mitkriegen. Seit sie die Hunde hat, müsse sie die Türe auflassen, damit sie raus und rein können, wann sie wollen. Denn es ginge hier um die Hunde, nicht um sie.

 

Denise nickt zustimmend. Die Hundebande habe aus ihr einen „guten Menschen“ gemacht. Nach Haftentlassung wolle sie sich in jedem Fall ehrenamtlich sozial engagieren.

 

Anna hat lange überlegt, ob sie die Patenschaft für einen der Hunde übernehmen will. „Ich hatte große Angst vor der Verantwortung“, sagt sie. Bei Wind und Wetter zweimal die Woche draußen mit den Hunden zu trainieren erntete viel Lob der Vollzugsbeamten. „So ein Lob geht runter wie Öl“, sagt sie später. Die Anerkennung bedeutet Respekt, und der macht ebenbürtig.

 

„Es ist ein schönes Gefühl mit Rose der Gesellschaft etwas zurückzugeben!“


Die Tiere ändern vieles im Gefängnis. Für die Frauen selbst, aber auch für das Zusammenleben und den Alltag in der JVA. „Ronja hat uns zusammengebracht“, sagt die 23-jährige Yvonne über ihren Patenhund, den sie gemeinsam mit ihrer Erzfeindin betreuen sollte. „Man hat einfach andere Seiten seiner Mitgefangenen kennengelernt. Als es Ronja einmal schlecht ging, haben wir zusammen geheult.“
Und Anna sagt den entscheidenden Satz, der das Projekt so erfolgreich macht: „Es ist ein schönes Gefühl, mit Rose der Gesellschaft etwas zurückzugeben“.

 

Auch Rosemarie Höner-Wysk, die Leiterin des Frauenvollzugs in Hahnöfersand sieht die positiven Effekte der Hundebande: „Die Frauen haben Verantwortung, Zuverlässigkeit und Kontinuität gelernt, also ganz elementare Sachen. Sie merken, sie können Klippen umschiffen und gewinnen Vertrauen in die eigene Handlungsfähigkeit“.
Und sie sagt auch, dass die Frauen sich durch die Arbeit mit den Hunden verändert haben. Beeindruckt sei sie von der Verlässlichkeit der Frauen im Umgang mit den Hunden. Und davon, wie sie sich – trotz Schwierigkeiten – immer wieder zusammenrauften. So lernt man, sozial zu handeln. Mit Hunden. Und dadurch auch: unter Menschen!
„Alle Frauen haben Erfahrungen gemacht, die sie nur über das Projekt haben machen können“, zieht Manuela Maurer Bilanz. Ein weiterer Beweis dafür, wie sehr uns unsere vierbeinigen Begleiter in wichtigen Lebensfragen unersetzbar unterstützen.

 

Ein neuer Platz im Leben


In den vergangenen neun Monaten wurde unter Beweis gestellt, mit welcher Kraft die Frauen im Strafvollzug in der Lage sind Verantwortung zu übernehmen. Mit Ausdauer, Zuverlässigkeit, Einfühlung und Teamgeist. Alle haben durchgehalten und sind gemeinsam in eine Richtung gelaufen – auf zwei und mit vier Beinen. Sie wollen weiterkommen, ihre Aufgabe annehmen, Gemeinsamkeit leben und dadurch eine neue Aufgabe und einen Platz im Leben finden. „Denn die Verantwortung für den jungen Labrador-Welpen sei größer als ihre Wut“, sagt Melanie und streichelt Ronja während sie leise Musik hört.

„Alle Frauen haben Erfahrungen gemacht, die sie nur über das Projekt haben machen können!“
 

Projektbeschreibung Hundebande


Bei Hundebande geht es um die Ausbildung, bzw. um die Vorbereitung zur Ausbildung junger Hunde zu Blindenführhunden durch Insassinnen einer Strafanstalt. Das Projekt – mit der bereits erfolgreich abgeschlossenen neunmonatigen Pilotphase – umfasst aber natürlich noch viel mehr: die Gefangenen durch den Umgang mit den Tieren und die verantwortungsvolle Erziehungsaufgabe in ihrer Resozialisierung zu unterstützen.

 

Damit geht es bei der Hundebande um die Übernahme von Verantwortung, den Aufbau sozialer Fähigkeiten wie Empathie und Geduld, den Aufbau emotionaler Bindungen, die Mobilisierung von Emotionen, die Hebung des Selbstwertgefühls, die Bildung der Teamfähigkeit und Kommunikationsfähigkeit.

 

Weiterhin geht es um aktive Wiedergutmachung, Resozialisierungsbereitschaft, Förderung der berufl. Rehabilitation, Bewusstseinsschärfung für die Wichtigkeit von Führhunden, öffentliche Wahrnehmung und sozialen Wandel!

Nach Einschätzung des Deutschen Blinden- und Sehbehindertenverbands (DBSV) sind momentan in Deutschland rund 2000 Blindenführhunde im Einsatz. Jedes Jahr werden ungefähr 250 bis 300 neue Führhunde benötigt, um den Bedarf zu decken.

Die Phase bis zur zwölften Lebenswoche ist in der Ausbildung der Hunde sehr entscheidend weil die Tiere dann die Grundlagen für ihr späteres Verhalten lernen. Im Alter von acht Wochen kommen die Welpen normalerweise zu ehrenamtlichen Paten wo sie bis zum Ende des ersten Lebensjahres bleiben. Hier lernen sie den Grundgehorsam und werden an Menschen und andere Tiere gewöhnt.

Diese Aufgabe der Patenfamilie übernehmen bei der Hundebande die Gefangenen. Sie teilen mit den Hunden ihre Hafträume und betreuen sie 24h am Tag. Zweimal wöchentlich findet unter Anleitung einer renommierten Führhundausbilderin das Training statt. Eine bestimmte Zeit verbringen die Tiere jede Woche auch außerhalb der Gefängnismauern, um Kontakt zu anderen Hunden zu haben und sich an Alltagssituationen zu gewöhnen, wie zum Beispiel das U-Bahn fahren.

 Nach der ersten Ausbildungsphase werden die Hunde untersucht und es wird entschieden, ob sie für die Blindenführhundeausbildung nach wie vor geeignet sind. Rund 50 Prozent der Hunde fallen aus Charakter- oder aus Gesundheitsgründen bei dieser Untersuchung durch. In einer zweiten Phase werden die geeigneten Hunde dann in der Blindenführhundeschule speziell für ihre spätere Tätigkeit trainiert und ausgebildet.

 

 

 

„Verbindung zweier Lebenswelten“

Ein Interview mit Manuela Maurer


Frau Maurer, warum liegt Ihnen die Hundebande so am Herzen?


„Menschen, die auf die schiefe Bahn geraten sind, sollen über die Beziehung zum Hund, die Einfühlung in das Leben blinder Menschen und durch die Übernahme von Verantwortung wieder zurück geführt werden in die Gesellschaft. 
Wissenschaftliche Studien zeigen, dass der Umgang mit Tieren sich positiv auf die Persönlichkeit von Straftätern auswirkt und die Resozialisierungschancen bei der Rückkehr in die Gesellschaft erhöht. Die zentralen Stichworte hierzu lauten: Die Reduktion negativer Gefühle wie Einsamkeit, Langeweile, depressive Stimmungen, Aufbau von Verantwortungsbewusstsein, Verstärkung von emotionalen Bindungen, Förderung sozialer Fähigkeiten wie Empathie bzw. Rücksichtnahme, Geduld, stressfreier Umgang mit Routinetätigkeiten, Strukturierung des Alltags, Frustrationstoleranz, Durchhaltevermögen, Verstärkung der Kontaktbereitschaft und sinnvolle Freizeitgestaltung. Das ist doch eine ganze Menge.“

 

Wie haben Sie sich gerade für die Blindenführhundeausbildung entschieden?


„Mit der Blindenführhundausbildung machen die Insassinnen etwas Nützliches. Dafür erfahren sie – oft zum ersten Mal seit langem – Anerkennung. 
Strafgefangene stehen nicht weit oben auf der Beliebtheitsskala; Sie können sich leicht vorstellen, mit welchen Vorurteilen und Problemen Projekte zu kämpfen haben, die hier ansetzen und sozialen Wandel erreichen wollen.“

 

Denken Sie, dass Sie diese Vorurteile mit dem Projekt widerlegen können?


„Dank großen Medieninteresses kann ich das Thema regional und überregional breiter spielen. Meine Ziele dabei sind vor allem: 
– die allgemeine Bevölkerung über die Situation blinder Menschen und der Wichtigkeit von Führhunden zu informieren.
– stärker darauf aufmerksam zu machen, wie wichtig es ist, die Blindenführhunde sorgfältig und zielgerichtet vorzubereiten.
– die öffentliche Wahrnehmung zu verändern, Hemmschwellen abzubauen und auf die Resozialisierungsbereitschaft aufmerksam zu machen, Menschen eine 2. Chance zu geben.“

 

Sicherlich gab es einige Hürden zu nehmen. Wie gehen Sie mit Kritik, oder auch Rückschlägen um bspw. wenn das Projekt abgelehnt wird?


„Natürlich gab es Bedenkenträger. Zu Recht. Es war eine große Herausforderung, die Koordination von Strafvollzug und der Ausbildung von Blindenführhunden hinzukriegen. Wir waren mit vielen Zweifeln konfrontiert. Von den ökonomischen Unsicherheiten ganz zu schweigen.
Doch ich betreibe die Hundebande mit größter Leidenschaft und verfolge ihre Ziele mit großer Überzeugung und aus persönlicher Motivation heraus. Das lässt mich schwierige Zeiten überstehen.“

 

Geben Sie uns einen kurzen Ausblick, wie es weitergeht?


„Wir haben jetzt am Prototyp bewiesen, dass die Hundebande laufen kann. Jetzt folgt erst mal eine solide Auswertung, um die Ergebnisse zu sichern. Hier werden wir kritisch reflektieren und dann sehen, wo wir stehen und wie wir weitermachen.
Das Modellprojekt im Frauenvollzug Hahnöfersand ist auf 3 Jahre angelegt. Danach ist es übertragbar auf andere Strafanstalten; könnte somit bundesweit als Rehabilitationsprogramm betrieben werden.
Was wir jetzt brauchen, ist die Kooperation mit einem Partner aus dem Nahbereich, um nach dem Prinzip des social business ein Geschäftsmodell aufzusetzen, was langfristig läuft.
Es gibt also viel zu tun und das ist natürlich die Herausforderung in solch einem ambitionierten Projekt.“

 

Vielen Dank für das Interview und ganz viel Erfolg weiterhin für Sie und die Hundebande.

 

Kontakt:
Hundebande
Manuela Maurer
Fettstr. 26
20357 Hamburg
Tel 0179 . 4127140
www.hundebande.org

 

Zur Person
Manuela Maurer, Initiatorin und Leiterin des Projektes Hundebande, hat eine Ausbildung zur Erzieherin absolviert und an der FH Wiesbaden Sozialpädagogik mit den Schwerpunkten Rehabilitation Suchtkranker und Straffälliger studiert. Nach einem Grundstudium der Kunstgeschichte, Psychologie und Philosophie hat sie 5 Jahre im Projektmanagement der Hamburger Agentur Kolle Rebbe gearbeitet. Seit 2009 entwickelt und begleitet sie selbstständig soziale Projekte. „Mit der Hundebande vereine ich die Fähigkeiten, die ich mir durch die Arbeit im sozialen Bereich und in der Werbung angeeignet habe. Ich möchte mit dem Projekt die Herausforderungen zweier Lebenswelten auf neue, kreative Art miteinander verbinden: Perspektiven für Menschen im Strafvollzug und die Bedürfnisse blinder Menschen.“

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