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Der Mensch-Hund-Code

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Ein Interview mit Günther Bloch über die Mensch-Hund-Beziehung

und warum sich der Mensch zu wichtig nimmt.

 von Michaela Knabe, coachdogs® Akademie

 

 

Günther Bloch beobachtet und dokumentiert seit Jahrzehnten, wie verwilderte Hunderudel und Haushundegruppen untereinander agieren und hat daraus viele neue Erkenntnisse zum Sozialverhalten und Miteinander der Hunde erhalten. Sein Ziel ist ein besseres Verständnis für die Verhaltensökologie unserer Hunde - und daraus resultierend eine bessere Beziehungen zwischen Mensch und Hund. Denn jeder Hund könnte unsere Verbindung zur Natur sein, wenn wir Menschen diese Möglichkeit nur besser nutzen würden.

 

Anfang 2016 veröffentlichte er zusammen mit Elli H. Radinger das Buch „Der Mensch-Hund-Code“, in dem die Autoren beschreiben, wie wir einen zuverlässigen Weg im Miteinander mit unseren Hunden finden. Hierüber sprach coachdogs® mit Günther Bloch auf seiner letzten Seminarreihe in Deutschland.

 

 

Lieber Günther, wir freuen uns sehr, dass Du Dir nach diesem informativen, kurzweiligen und wie immer sehr humorvollen Seminar die Zeit nimmst, uns ein paar Fragen zu beantworten. Unsere erste Frage an Dich ist: Braucht der Hund den Menschen denn wirklich?

Grundsätzlich ja. Hunde sind ein altes Kulturgut und in unserem Umfeld groß geworden. Die Bindung zwischen Mensch und Hund ist sogar so stark, dass wir uns gegenseitig intuitiv vertrauen. Artgerecht für den Hund ist, eng mit dem Menschen zusammenzuleben. Hunde sind vierbeinige Familienmitglieder und individuelle Persönlichkeiten mit sozio-emotionalen Bindungsbeziehungen zu ihren Menschen.

 

Dieses enge Verhältnis zwischen Menschen und Hunden bedingt, dass wir für unsere Hunde Verantwortung übernehmen müssen. Ohne Wenn und Aber, denn wir haben mehr Pflichten als Rechte. Hierzu zählen z.B. Gefahrenerkennung und -abwehr. Das heißt: Um eine Gefahr zu erkennen, brauche ich einen Weitblick, damit ich nur im Ausnahmefall Gefahren abwehren muss, beispielsweise indem ich mich vor meinen Hund stelle und ihn aktiv beschütze. Das ist eine der typischen Pflichten als Leittier. Verantwortung für die Gruppe übernehmen – mit unaufgeregter Besonnenheit.

 

Welche Schwierigkeiten gibt es Deiner Meinung nach in der Kommunikation zwischen Mensch und Hund?

Hauptsächlich die oftmals chaotische Körpersprache des Menschen anstatt eines klaren und authentischen Ausdruckverhaltens. Hunde sind schließlich immer authentisch und erwarten dies auch von ihren Menschen. Und natürlich das Thema Zeit, beziehungsrelevante Zeit. Wichtig für eine sichere Bindung ist es, beziehungsfördernde Rituale in den Vordergrund zu stellen, wie beispielsweise das initiative Begrüßen oder gemeinsames Sozialspiel. Die meisten Hundebesitzer können „Spiel“ jedoch überhaupt nicht richtig definieren.

 

Ansonsten erwarten Hunde von ihren Menschen Loyalität und ein Angebot mit sozialem Inhalt. Hunde folgen demjenigen, der sich sozio-emotional kümmert, Ruhe und Gelassenheit ausstrahlt, sich in die Beziehung einbringt, aber auch gelegentlich auf Distanz geht. Der Mensch muss seinen Führungsanspruch klar und deutlich kommunizieren, wenn der Hund ihn ernst nehmen soll.

 

Funktioniert ein Beziehungsaufbau über positive Verstärkung?

Wenn der Mensch ein Verhalten positiv bewertet, bekommt der Hund eine Belohnung. Das muss aber nicht immer Futter sein, sondern durchaus auch ein freundliches Wort oder ein Sozialkontakt. Daraus kann aber nicht generell abgeleitet werden, dass alles, was wir als erwünschte Verhaltensweise betrachten, stets positiv verstärkt wird und dann auch noch mit allen möglichen Konditionierungshilfsmitteln.

 

Der Hund sollte einen eigenen Charakter und eine eigene Persönlichkeit formen dürfen. Dazu muss er auch lernen, selbständig Erfolge und Misserfolge zu verarbeiten. Persönlichkeit zuzulassen hat viel mit Zeit und Engagement zu tun und scheitert oft an übermotivierten Menschen, die ihre Hunde nicht Hund sein lassen und ständig an ihnen herum manipulieren müssen.

  

Wie verhalte ich mich als Mensch denn bei unerwünschtem Verhalten meines Hundes? Ignorieren oder eingreifen?

Ignorieren sollte auf keinen Fall ein Freifahrtschein dafür sein, keine Verantwortung mehr zu übernehmen und keine Konflikte mehr auszutragen, sprich: nichts tun zu müssen. Nichtverhalten geht ohnehin nicht, auch wenn dies immer unter dem Deckmäntelchen moderner „Nettigkeit“ verkauft wird. Ein hundliches Leittier verhält sich ohnehin nicht so. Wenn es notwendig ist, dann gibt es situativ ganz klare Abbruchsignale.

 

Gegen ein kurzes Nichtbeachten, sogenanntes „situatives Ignorieren“, ist gar nichts einzuwenden. Ein Langzeit-Ignorieren hingegen ist absolut tierschutzrelevant, denn es bedeutet nichts anderes als die soziale Isolation eines Gruppenmitgliedes. Und dadurch erreichen wir meist genau das Gegenteil dessen, was wir erreichen wollen. Schon gar nicht gelingt das bei den so genannten „Pöh-Hunden“, also die Hunde, die nach dem Motto „Pöh, ist mir doch egal“ agieren. Diese willensstarken Individuen denken sich dann: wenn der mit mir nichts mehr zu tun haben will, dann setze ich meinen Kopf eben einfach weiter durch und mache mein Ding. Das Überleben (Futter, Schlafen, Gassi) ist ja gesichert.

 

In diesem Zusammenhang fällt auch oft der Dominanzbegriff, der ja immer noch sehr negativ behaftet ist....

Verhaltensbiologisch gesehen gibt es zwei Formen von Dominanz, die stets grundsätzlich zu unterscheiden sind: die formale Dominanz und die situative Dominanz.

 

Formale Dominanz ist erst einmal nichts anderes als die Vermittlung von Halt, Schutz und Geborgenheit und ein natürliches initiatives Verhalten. Hundehalter haben die Pflicht, für Schutz und Geborgenheit zu sorgen und einen aktiven Plan vorzuleben. Hinzu kommen Dinge wie die situativ bisweilen sinnvolle Organisation eines geordneten Rückzugs ohne Panik zu verbreiten. Wie kann formale Dominanz dann negativ sein?

 

Situative Dominanz ist die Auseinandersetzung im Wettbewerb um alle möglichen Ressourcen, wie z.B. Futter oder Spielzeug. Es kann vorkommen, dass sich der Hund situativ gegenüber seinem Menschen gelegentlich durchsetzt. Dieses wettbewerbsbezogene Durchsetzen hat mit einem Verlust an formaler Dominanz im ursprünglichen Sinn aber erst einmal nichts zu tun, hier geht es vielmehr um eine Bedürfnisorientierung und Angleichung der Ressourcenzuteilung.

 

Wir bringen Menschen näher, durch die Hunde etwas über sich selbst zu lernen. Was unsere Arbeit im Kern ausmacht: Gegenseitiger Respekt, vertrauensvolle Beziehungen und eine klare Rollenverteilung. Welche ergänzenden Gedanken hast Du hierzu?

Primaten sind im Vergleich zu Wölfen und Hunden eher egoistisch, tendenziös mehr auf den eigenen Vorteil bedacht und weniger kooperativ als Kaniden. Auch Menschen sind Säugetiere und aus naturwissenschaftlicher Sicht nichts Besonderes, sie nehmen sich nur viel zu wichtig. Ich glaube nicht, dass unsere derzeitige moderne Lebensweise mit all dem im Vordergrund stehenden Egoismus langfristig überlebensfähig ist. 

 

Ein wirklich richtungsweisendes fürsorgliches Sozialverhalten leben uns Kaniden vor. Sie organisieren sich nicht in streng hierarchischen Hackordnungssystemen. DAS männliche dominierende Alphatier gibt es nicht. Stattdessen arbeiten Kaniden-Eltern stets sehr eng zusammen, fungieren als Vorbilder mit sozialer Kompetenz und erteilen wohl überlegten Lebensunterricht: Kooperation, immer füreinander einstehen und Zusammenhalt demonstrieren, Ruhe und Gelassenheit, Empathie und Fairness, Kreativität und Experimentierfreude. Bedürfnisse werden gegenseitig signalisiert und angeglichen.

 

Charismatische und souveräne Führungspersönlichkeiten lassen sich beim Sozialspiel mit dem bisweilen großkotzigen Nachwuchs (Bloch: „Schnösel“) durchaus hier und dort bewusst mal auf der Nase rumtanzen. Mit anderen Worten: die Leittiere lassen Fünfe auch mal gerade sein und gehen entspannt und gelassen über das ein oder andere situative Fehlverhalten der Rudelmitglieder hinweg - solange sich das Ganze im Rahmen hält bzw. deren Treiben das Rudel nicht in Gefahr bringt. Und sie lassen ihre Jungen sich selbst entwickeln, weil jedes Individuum in einer Gruppe ein besonderes Talent und eine besonders hervorstechende Eigenschaft hat. Persönlichkeitsentwicklung ist selbstverständlich.

 

Wölfe und Hunde haben ein hoch komplexes Sozialverhalten, vom dem wir Menschen jede Menge lernen können - wenn wir denn wollen. 

 

 

Der coachdogs® Buchtipp:

Der Mensch-Hund-Code: Selbstbewusst durch den Dschungel der Hundeszene

von Günther Bloch und Elli H. Radinger

Kosmos Verlag, 1. Auflage, März 2016

ISBN: 978-3-440-13410-8

 

Wer das neue Buch „Der Mensch-Hund-Code“ handsigniert erwerben möchte, kann dieses bestellen unter:

info@elli-radinger.de  

 

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Der coachdogs® Veranstaltungstipp:

Vom 19. bis 21. Mai 2017 wird jeder Hundefreund von den besten Freilandforschern und Wissenschaftlern das Neueste vom Neuesten zum Thema Hundeverhalten erfahren. Auf dem 6. internationale Canidensymposium Wolf & CO 2017, das in Berlin stattfindet, kommen alle vor Günther Blochs entgültigem Ruhestand noch ein letztes Mal zusammen und feiern.

 

Ausführliche Fachreferate von Wissenschaftlern und Experten sind ebenso Bestandteil des Fach-Symposiums, wie die Möglichkeit, abends beim „meet and greet“ in der hauseigenen Bar gemeinsam den Tag ausklingen zu lassen. Jeder, der am Thema Hundeverhalten ernsthaft interessiert ist und sich informieren möchte, kann sich hier anmelden:

 

www.canidensymposium-berlin.de

 

 

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