Elli Radinger. Die Wolfsexpertin lernt wölfisch für Hundehalter
„Rauf aufs Sofa!“
Machen Sie es sich bei einer Tasse Tee gemütlich, neben Ihnen friedlich schlafend Ihr vierbeiniger Freund. Wirklich? Der Hund auf meinem Sofa? Und wenn er mich dann nicht mehr als Rudelführer akzeptiert? Erhöhte Sitzpositionen sind ja bekanntlich ein Privileg des Stärkeren, Wichtigeren und Ranghöheren. So bringen sich Hundehalter um die schönen gemeinsamen Momente, Was gibt es Schöneres als ein weicher Hundekopf auf dem Schoss während einiger gemütlicher Minuten auf dem Sofa? Pure Zweisamkeit.
Szene, die Zweite: „Rauf aufs Sofa! Machen Sie es sich bei einer Tasse Tee gemütlich, neben Ihnen friedlich schlafend Ihr vierbeiniger Freund. Und Sie: Das neue Buch von Elli H. Radinger und Günther Bloch in den Händen: „Wölfisch für Hundehalter. Von Alpha, Dominanz und anderen populären Irrtümern“. Ganz neu erschienen räumt es endlich auf mit Fehlinterpretationen, die bestens gepflegt – und gerne geglaubt werden. Sind sie doch Empfehlungen von Trainern, Beratern und „Experten“, meist verbunden mit dem erhobenen Zeigefinger und den nachdrücklichen Warnungen, doch immer dafür Sorge zu tragen, der „Chef im Ring“ zu sein. Angst wird geschürt und Verunsicherung entsteht, wo doch eigentlich eine gute Beziehung wachsen sollte. Standardsätze, wie „der Alpha hat immer das Sagen und geht zuerst durch die Tür“ brennen sich in die Köpfe. Das Vertrauen in sich selbst, in die eigene Intuition und Kompetenz wird mehr und mehr erschüttert. „Wölfisch für Hundehalter“ räumt hier auf. Die Erkenntnisse der Autoren resultieren aus ihren jahrelangen Freilandforschung an wild lebenden Wölfen. Elli H. Radinger verbringt seit langer Zeit mehrere Monate im Jahr im Yellowstone Nationalpark. Wolfsinteressierte Menschen können Sie zeitweise dabei begleiten.
Günther Bloch betreibt Freilandforschungen in Kanada. Einige freilebende Wolfsrudel hat er über Jahre begleitet (s. WAU!effekt, Ausgabe 1, S. 10, Der Alpha-Mythos) und daraus viele neue Erkenntnisse zum Sozialverhalten und Miteinander der Wölfe erhalten. Ebenso Elli H. Radinger. Auch sie hat in den 15 Jahren, in denen sie Wölfe in ihrer natürlichen Umgebung beobachtete, so viel von ihnen gelernt. Weg von Klischees möchte auch sie, und damit Mensch und Hund das wirkliche soziale und familienorientierte Wesen des Wolfes näherbringen. Das Ziel: ein besseres Verständnis auch für die Natur unserer Hunde – und daraus resultierend bessere Beziehungen zwischen Mensch und Hund.
Elli, du setzt dich seit Jahren für die Wölfe ein. Was sind primär deine Beweggründe und was fasziniert dich besonders an Wölfen?
„Das lässt sich gar nicht so einfach sagen. Ich habe in den 15 Jahren, in denen ich Wölfe in ihrer natürlichen Umgebung beobachte so viel von ihnen gelernt. Aber mehr noch als von der Spezies Wolf an sich lerne ich von „Wildtieren in ihrem Ökosystem“. Das kann man eigentlich erst nach vielen Jahren der Beobachtung verstehen. Alles ist miteinander verbunden, verändert sich und ist ständig in Bewegung – nicht immer so, wie wir es gerne hätten. Manchmal geschehen Dinge, die man nicht ändern kann und zulassen muss (Wölfe werden getötet, durch Jagd, Krankheiten oder ähnliches). Dann zurückzutreten und die Natur einfach SEIN zu lassen, ist eine der schwersten Übungen. Belohnt werde ich dafür mit einem kurzen Moment des Einblicks in ein komplexes Universum.“
Einen großen Teil deiner Arbeit bildet Ihr Engagement innerhalb des Wolfsprojektes im Yellowstone-Nationalpark. Interessierten Menschen bietest du die Möglichkeit, dich auf Ihren Expeditionen zu begleiten. Was nehmen die Menschen Ihrer Erfahrung nach mit und welche Eindrücke bekomme sie?
„Ich warne immer meine Kunden, die ich zur Wolfsbeobachtung mitnehme oder die ich als Guide im Park führe, dass diese Reisen süchtig machen. Und tatsächlich habe ich etwa 70 % Wiederholer, die immer wieder kommen. Yellowstone ist nun einmal der einzige Ort auf der Welt, wo man wilde Wölfe beobachten kann – bei der Jagd, der Paarung, der Aufzucht der Jungen. Die Wölfe in ihrer natürlichen Umgebung zu sehen (und dabei noch ein Teil des Forschungsteams zu sein) ist für alle faszinierend."
Yellowstone ist der größte Nationalpark der Welt. Heute gibt es wieder eine gesunde Wolfspopulation dort. Lässt dies hoffen, dass der Wolf hierdurch eine Chance bekommt, sich auch über die Grenzen des Nationalparks hinaus noch stärker wieder anzusiedeln?
„Das ist schon längst geschehen. Die Wolfspopulation hat sich längst außerhalb der Parkgrenzen ausgebreitet bis Colorado, Washington und Oregon. In Montana, Idaho und Wyoming, also in Staaten, die an Yellowstone grenzen, wurden die Wölfe im letztem Jahr von der Artenschutzliste genommen und dürfen wieder gejagt werden. Für uns Wolfsschützer ist es viel zu früh, wir sehen schon jetzt wieder einen Rückgang der Population.“
Auch in Deutschland gibt es wieder Wölfe. In der Lausitz haben sich seit Beginn 2000 aus einem Rudel bis heute 6 Rudel angesiedelt. Hat der Wolf auf Dauer eine Chance in unserem dicht besiedelten Land?
„Natürlich. Wölfe können durchaus in der Nähe von Menschen leben. Alles was Wölfe brauchen, ist in Ruhe gelassen zu werden. Wobei durchaus die Infrastruktur wie Autobahnen oder Bahntrassen ein Problem für eine Ausbreitung der Population werden könnten.“
Die Bundesländer betreiben in enger Abstimmung mit den Naturschutzverbänden ein sogenanntes „Wolfsmanagement“, um Aufklärungsarbeit zu leisten und Ängsten der Bevölkerung entgegenzutreten. Du hast selbst viele Wölfe beobachtet. Welche Erfahrungen und realistischen Informationen kannst du uns geben, um möglichen Ängsten entgegenzutreten?
„Meine naheste Wolfsbegegnung waren zwei Jungschnösel, die sich mir neugierig bis auf drei Meter näherten. Aber anders als in Yellowstone sind in Deutschland die Wölfe nicht an Menschen gewöhnt oder mit ihnen vertraut. Und das ist gut so. Wilde Wölfe greifen im Allgemeinen keine Menschen an. Wir müssen aber darauf achten, dass sie wild und scheu bleiben. Die Probleme fangen an, wenn sie gefüttert werden.
Nutztierhalter in Wolfsgebieten müssen darüber hinaus für notwendige Schutzmaßnahmen Sorge tragen wie beispielsweise Elektrozäune und nächtliches Eingattern. Nur dann sollten sie meiner Ansicht auch Entschädigungen erhalten, wenn doch einmal die Wölfe ihre Tiere angreifen. Wenn wir wilde Tiere in unserer Nähe haben wollen, müssen wir umdenken.“
Wie du ja aus Gesprächen zwischen uns weisst, bringen wir Menschen näher, durch den Kontakt zu Hunden etwas über sich selbst zu lernen. In unserer letzten WAU!effekt (Ausgabe 2, Seite 13) habe ich den Wolf einmal als Lehrmeister bemüht und „10 wölfische Regeln für besseres Management“ zusammengefasst. Welche ergänzenden Gedanken hast du hierzu?
„Es scheint ein neuer Hype zu sein, dass wir jetzt alles mit „Wolfsregeln“ erklären, führen und verbessern wollen. Aber im Grunde sind diese Regeln (neben einigen anderen) doch eigentlich Werte, die uns seit Urzeiten vermittelt werden (oder zumindest im Elternhaus vermittelt werden sollten), die jedoch irgendwann verloren gegangen sind und jetzt als Sensation wieder aus der Schublade geholt werden. Die „10 wölfischen Werte“ sind Grundprinzipien für die Führung einer Familie oder Firma, auch Grundprinzipien für den Umgang miteinander. Folgt man ihnen, funktioniert alles wunderbar – im Normalfall.
Aber Wölfe sind auch nur Menschen. So haben wir in Yellowstone auch immer wieder einmal Wölfe, die offensichtlich die Regeln nicht gelesen haben, die uncool, dominant und unloyal ihren Mitwölfen gegenüber sind. Was ich in den 15 Jahren Beobachtungen wilder Wölfe gelernt habe ist im Grunde, dass ich gar nichts weiß. Dass Regeln umgestoßen werden, Katastrophen, Kriege und Krankheiten passieren und der Andere nicht so reagiert, wie ich es gerne hätte. Damit muss ich leben, mich anpassen und das Beste daraus machen – so wie es auch die Wölfe immer wieder tun.“
Lange Jahre bot Elli Radinger Wolfsreisen in den Yellowstone National Park an. Derzeit pausiert sie mit den Reisen, aufgrund des Protests gegen Nationalpark-Politik und das Töten der Wölfe an den Parkgrenzen.
Auch dein neues Buch greift das Lernen vom Wolf auf. In „Wölfisch für Hundehalter (Ersch. April 2010)“, welches du gemeinsam mit Günther Bloch geschrieben haben, greifst du gängige Klischées aus dem Hundeschulalltag auf und räumen auf mit Vorurteilen zu Alpha und Dominanz, die immer noch so viele Hundehalter und natürlich ihre Hunde verwirren. Woher – glaubst du – kommen all diese Vorurteile und warum sind Menschen deiner Ansicht nach so empfänglich hierfür?
„Nach Gesprächen mit vielen Seminarteilnehmern habe ich den Eindruck, dass es immer schwerer für die Hundehalter wird. Ist man früher noch mit einem halbwegs „gesunden Menschenverstand“ und seinem „Bauchgefühl“ mit dem Hund umgegangen, schießen heute Hundeschulen, Hundepsychologen und Hundekommunikatoren nur so aus dem Boden. Jeder, der auch nur einen Wochenendkurs gemacht hat, wird auf Mensch und Hund losgelassen und verbreitet dort die gerade mal aktuell gängige Lehrmethode. Es ist wirklich eine Katastrophe, was wir alles hören und erleben. Und je mehr Hundeschulen und mehr oder weniger qualifizierte Hundetrainer es gibt, um so verwirrter wird der Hundehalter, besonders der unerfahrene, der gar nicht mehr weiß, was er glauben soll. Er glaubt jedem, der eine Autorität ist – oder behauptet eine zu sein. Je bekannter der Trainer, um so gläubiger der Schüler. Und am meisten leidet natürlich der Hund. Ich kann an zwei Händen die Hundetrainer aufzählen, die ich empfehlen könnte. Keiner von ihnen folgt einer Trendmethode, sondern sie beraten Hund UND Mensch als Individuen.“
Wie kann der Mensch denn „Wölfisch“ lernen?
„Da sollte er am besten unser Buch kaufen und lesen!“
Was glaubst du, ist genau der Schlüssel für ein besseres Miteinander zwischen Mensch und Hund, was brauchen beide Seiten am meisten?
„Unsere Hunde sind die besseren Lehrmeister. Sie versuchen, es uns recht zu machen – wenn wir denn bloß selber wüssten, was wir wollen. Je klarer und authentischer wir sind, je sicherer und zufriedener wir mit uns selbst und unserem Leben sind, um so einfacher und harmonischer ist das Leben mit unseren Hunden. Es gibt kein Patentrezept für ein gutes Miteinander. Jeder Hund und jeder Mensch ist ein Individuum. Wir sollten auf unser Bauchgefühl hören und auch einfach mal unsere Hunde Hund sein lassen.“
Buch: „Wolfsküsse: mein Leben unter Wölfen“, Elli H. Radinger, 2013
Buch: „Wölfisch für Hundehalter: Von Alpha, Dominanz und anderen populären Irrtümern“, Günther Bloch und Elli H. Radinger, 2010
Elli H. Radinger gab 1983 ihren Beruf als Rechtsanwältin auf, um ihre Liebe zu den Tieren und zum Schreiben zu verbinden. Seitdem arbeitet sie als Freie Fachjournalistin für zahlreiche Tier-, Natur- und Reisezeitschriften und schreibt Bücher über ihre Lieblingsthemen.
Schon immer galt die Leidenschaft der Autorin, die mit Hunden aufwuchs, den Wölfen. Als sie diese 1991 während eines Ethologiepraktikums in Wolf Park, einem amerikanischen Wolfsforschungsinstitut, näher kennenlernen konnte, verfiel sie dem »Wolfvirus«.
Gemeinsam mit Günther Bloch und anderen gründete sie die »Gesellschaft zum Schutz der Wölfe«, deren Vorsitzende sie bis zu ihrem Ausscheiden 10 Jahre lang war.
In dieser Zeit entstand auch das Wolf Magazin, dessen Chefredakteurin sie seit 1991 ist und das zweimal jährlich als Buch in der edition tieger im Autorenhaus-Verlag, Berlin, erscheint. Einen Großteil des Jahres hält sich die Wolfsexpertin im amerikanischen Yellowstone-Nationalpark in Wyoming auf, wo sie seit der Wiederansiedlung der Wölfe 1995 als Freiwillige im Wolfsprojekt mitarbeitet. Deutsche Wolfsfreunde haben die Gelegenheit, Elli Radinger als Guide in Yellowstone zu buchen oder an einer ihrer Wolfsbeobachtungsreisen teilzunehmen.
In Vorträgen und Lesungen informiert die Autorin über ihr tierisches Lieblingsthema. Darüber hinaus hält sie Workshops und Seminare zu den Themen Wolf und Hund und über das Schreiben.
Kontakt
Autorenseite:
www.elli-radinger.de
Die Wölfe von Yellowstone: www.yellowstone-wolf.de
Das Wolf Magazin, die einzige deutschsprachige Fachzeitschrift über Wölfe und wilde Kaniden: www.wolfmagazin.de